Cash is King – Sterben des Königs Untertanen?

TOP-Thema im November 2015:

Ein Beitrag von Prof. Dr. Henning Zülch, Dipl.-Kfm. Christian Kretzmann und Stephanie Jana, M.Sc., alle HHL Leipzig Graduate School of Management, Leipzig

Die Kapitalflussrechnung genießt national wie international ein ungebrochenes Vertrauen (vgl. ADS INTERNATIONAL [2002]). Nicht unbekannt sind daher Aussprüche, wie der im Titel dieses Beitrags genannte: „Cash is King“ (EPSTEIN/PAVA [1992]). Während Themen wie Bilanzpolitik (bzw. Earnings Management) die Seiten von fachwissenschaftlichen und praxisorientierten Journalen füllen, herrscht gemeinhin Einigkeit über die vermeintliche Verlässlichkeit und Relevanz von Cashflow-Daten. Dies verwundert kaum, denn konkret sind es die Grundsätze der Zuverlässigkeit und Vergleichbarkeit, welche das International Accounting Standards Board (IASB) in seinem Conceptual Framework (CF QC.4, QC20-QC25) verankert hat. Die Vergleichbarkeit ist essentiell, um das gewünschte hohe Maß an Transparenz in Sachen Finanzberichterstattung zu erzielen. Denn ebendiese Transparenz war vor Einführung der IFRS oftmals Mangelware und führte bei privaten wie institutionellen Investoren teilweise zu großer Ernüchterung. Konkret stellt der Rechnungslegungsstandard IAS 7 (Statement of Cash Flows) mit IAS 7.4 fest, dass die „Kapitalflussrechnung die Vergleichbarkeit der Darstellung der Ertragskraft unterschiedlicher Unternehmen [verbessert], da die Auswirkungen der Verwendung verschiedener Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden für dieselben Geschäftsvorfälle und Ereignisse eliminiert werden“.

Doch wie steht es nun genau um das Thema Vergleichbarkeit bezogen auf Cashflow-Daten deutscher Unternehmen? Widerstehen diese im Vergleich zu Gewinngrößen tatsächlich jeglicher Beeinflussung durch implizit oder explizit getroffene Ermessensentscheidungen oder durch die Nutzung von Wahlrechten? Bezeugen die IFRS-Abschlüsse deutscher Unternehmen die Erreichung des ehrgeizigen Transparenz-Ziels des IASB? Die klare Antwort auf alle drei Fragen lautet: Nein. Demzufolge ist es mehr als fraglich, wie lange der ,König Cashflow‘ noch ausreichend Untertanen um sich scheren kann, die ihm blind vertrauen.

Bevor wir uns den Ergebnissen einer empirischen Studie der HHL Leipzig Graduate School of Management zuwenden, sei indes eines bereits vorweggenommen. Weder handelt es sich bei den folgenden Schilderungen um Einzelfälle, noch geht es um die fehlerhafte Anwendung oder Auslegung der IFRS. Einzig und allein die konsequente Nutzung von Ausweiswahlrechten im Rahmen der Kapitalflussrechnung nach IAS 7 bezogen auf die Klassifizierung von gezahlten und erhaltenen Zinsen sowie Dividenden führt zu einer Unterminierung der Vergleichbarkeit. Das Problem ist somit hausgemacht.

Lassen Sie uns zunächst einen Blick auf die nationalen und internationalen Regelungen werfen, bevor wir uns den empirischen Befunden zuwenden. Die folgenden Darstellungen beziehen sich dabei auf Unternehmen, die nicht der Kategorie der Finanzinstitute angehören. Grundlegend kann bereits hier dargelegt werden, dass sich die Klassifizierung von Zinsen und Dividenden nach IFRS (IAS 7) maßgeblich von den nationalen Regelungen nach § 297 Abs. 1 HGB bezüglich der Kapitalflussrechnung als Bestandteil des Konzernabschlusses mit den dazugehörigen Regelungen des DRS 21 (Kapitalflussrechnung) als Nachfolger des DRS 2 (Kapitalflussrechnung) unterscheidet. Der DRS 21.44 legt konkret fest, dass erhaltene Zinsen und Dividenden dem Investitions-Cashflow zuzuordnen sind, während deren Pendants (gezahlte Zinsen und Dividenden) im Finanzierungs-Cashflow ausgewiesen werden. Diese Veränderung stellt eine Abkehr von der bis 2014 geltenden Vorschrift dar, nach der gezahlte und erhaltene Zinsen sowie erhaltende Dividenden grundsätzlich im operativen Cashflow auszuweisen waren (DRS 2.36). Die Regelungen nach IAS 7 sehen indes vor, dass dem bilanzierenden Unternehmen umfassende Freiheiten bezüglich der Klassifizierung der vorgenannten Zahlungsströme zuteilwerden, sodass diese im operativen Cashflow ausgewiesen werden können. Gleichwohl können erhaltene Zinsen und Dividenden auch im Investitions-Cashflow, gezahlte Zinsen und Dividenden entsprechend auch im Finanzierungs-Cashflow ausgewiesen werden. Einen Vergleich der dargestellten Klassifizierungsmöglichkeiten nach IFRS und HGB im Überblick liefert die nachfolgende Abbildung.

Abb. 1: Vergleich der Klassifizierungsmöglichkeiten nach IFRS und HGB

IFRS

HGB

IAS 7.33*

DRS 21

(ab 01/2015)

DRS 2

(bis 12/2014)

Erhaltene Zinsen

OCF / ICF

ICF

OCF

Gezahlte Zinsen

OCF / FCF

FCF

OCF

Erhaltene Dividende

OCF / ICF

ICF

OCF

Gezahlte Dividende

OCF / FCF

FCF

FCF

*Bezogen auf Unternehmen, die nicht der Kategorie Finanzinstitute angehören.
OCF: Operativer Cashflow; ICF: Investitionscashflow; FCF: Finanzierungscashflow

Bedenkt man, dass deutsche Unternehmen historisch bedingt im Vergleich zu angel-sächsischen Unternehmen in höherem Maße durch Fremdkapital finanziert sind und somit entsprechend einen höheren Anteil an Zinszahlungen zu leisten und zu bilanzieren haben, wird die Bedeutung des Ausweisorts jener Ergebnisbestandteile schnell ersichtlich (vgl. MONNET/QUINTIN [2007]). Nicht selten stellt der Anteil gezahlter Zinsen eine wesentliche Komponente der jeweiligen Cashflow-Kategorie dar und kann in Einzelfällen sogar darüber entscheiden, ob diese mit positivem oder negativem Vorzeichen Eingang in die Kapitalflussrechnung findet. Grundsätzlich kann zu Recht argumentiert werden, dass es sich hierbei um eine legitime Ausweisentscheidung handelt, wie es sie auch außerhalb der Kapitalflussrechnung gibt (vgl. KVAAL/NOBES [2010]). Sofern diese im Rahmen des vom Standard gewährten Spielraums liegt und außerdem den Anforderungen nach Ausweisstetigkeit sowie sonstigen Dokumentationsverpflichtungen nachgekommen wird, stellt dies für den kundigen Bilanzleser weder Problem noch Einschränkung dar. Die Vergleichbarkeit wäre somit nicht gefährdet, Fehleinschätzungen dadurch nicht wahrscheinlicher. Dem widerspricht indes die Erkenntnis, dass insbesondere der operative Cashflow von besonderer Bedeutung für die Beurteilung und Bewertung von Unternehmen sowie ihrer Eigen-/ und Fremdkapitalinstrumente ist. Unternehmen mit einem höheren operativen Cashflow werden gemeinhin als stabiler und profitabler eingeschätzt (vgl. VAN DER HEIJDEN [2015]). Ebenso stellt der operative Cashflow oder Free Cashflow eine Schlüsselgröße bzw. eine unternehmensinterne Steuerungskennzahl in der Bemessungsgrundlage für Managementvergütungen sowie für Equity-Analysten im Kapitalmarkt und in Debt-Verträgen (beispielsweise im Rahmen von Financial Covenants) dar (vgl. NUMBERG [2006]; IMAN ET AL. [2008]). Zweifelhaft erscheint es, dass all diese Anspruchsgruppen in einem adäquaten Maße für die Nutzung der Ausweiswahlrechte sensibilisiert sind.

Die vom Lehrstuhl ,Accounting & Auditing‘ der HHL Leipzig Graduate School of Management durchgeführte Studie ,Comparability of Reported Cashflows – Evidence from Germany‘ (vgl. KRETZMANN ET AL. [2015]) untersucht die Einflussfaktoren auf die Ausübung der Ausweiswahlrechte der größten deutschen Unternehmen. Hier wird der Zeitraum seit der verpflichtenden IFRS Bilanzierung kapitalmarktorientierter Unternehmen (2005) bis 2012 für die Indizes DAX30, MDAX, SDAX und TecDAX betrachtet, wobei Finanzinstitute aufgrund anders lautender Vorschriften ausgeschlossen werden. Im Ergebnis wird festgestellt, dass 70% der Unternehmen gezahlte Zinsen im operativen Cashflow ausweisen, circa 30% hingegen diese aus dem operativen Bereich in den Finanzierungsbereich verlagern und somit teilweise erheblich höhere operative Cashflows berichten. Erhaltene Zinsen wurden ebenfalls von circa 70% der Unternehmen im operativen Cashflow berücksichtigt, in 18% der Fälle im Investitionsbereich und bei 10% im Finanzierungs-Cashflow. Gezahlte Dividenden wurden von allen Unternehmen ausnahmslos im Finanzierungs-Cashflow untergebracht.

Betrachtet man gezahlte Zinsen und das oben skizzierte Bild der Ausweisverteilung, so sei erwähnt, dass der damit verbundene Zahlungsstrom mit durchschnittlich 29% des operativen Cashflows einen der wesentlichsten Inhalte darstellt. Vor dem Hintergrund, dass 30% der Unternehmen ebendiesen aus dem operativen Bereich heraus verlagert haben, liegt die Vermutung nahe, dass dieses nicht ohne Grund geschehen sein mag, sondern um den operativen Cashflow womöglich besser darzustellen. Mithilfe deskriptiver und induktiver Methoden verfolgt die Studie das Ziel, Aufschluss darüber zu erhalten, welche Unternehmensspezifika oder sonstigen Umstände einen Erklärungsgehalt für die getroffenen Wahlrechte bergen. Hierzu kann erstens festgehalten werden, dass die Branchenzugehörigkeit eine zentrale Rolle spielt. Während in den Branchen Nahrung oder Rohstoffe 100% der Unternehmen gezahlte Zinsen im operativen Cashflow ausweisen, herrscht im Bereich der Chemie indes eine andere Branchenpraktik vor, nach welcher lediglich 39% diesem Vorgehen folgen. Im Rahmen multivariater Analysen konnte bestätigt werden, dass die Branchenzugehörigkeit eine der entscheidenden erklärenden Variablen ist in der Frage, wo Zinsen und Dividenden ausgewiesen werden. Zudem wurde festgestellt, dass wirtschaftlich schlechter gestellte Unternehmen mit einer geringen Profitabilität und einem überdurchschnittlich hohen Verschuldungsgrad dazu neigen, Zahlungsströme in der Art auszuweisen, dass der operative Cashflow erhöht wird. Ebenso hat die Wahl des Abschlussprüfers eine Auswirkung auf das Ausweisverhalten, sodass Unternehmen mit einem BIG4 Auditor die im IAS 7 gebotenen Wahlrechte in stärkerem Maße annehmen und für sich nutzen. Ebenso werden die Ausweispraktiken dadurch beeinflusst, ob Cashflow basierte Kennzahlen für die interne Unternehmenssteuerung verwendet werden und ob das Unternehmen freiwillig oder verpflichtend auf die IFRS Berichterstattung umgestellt hat.

Greift man das eingangs angeführte Ziel des IFRS Conceptual Framework in Sachen Transparenz und Vergleichbarkeit auf, so lässt sich festhalten, dass dieses mithilfe der Regelungen nach IAS 7 unterminiert wird. Unternehmen sind sich ihrer Wahlrechte deutlich bewusst und nutzen diese zielgerichtet aus. Die Ergebnisse der empirischen Studie zeigen, dass diese Nutzung keineswegs zufällig geschieht, sondern dass sich übereinstimmende Charakteristika identifizieren lassen, welche die Unternehmen verbinden. Der Befund, dass insbesondere wenig profitable und unterdurchschnittlich solvente Unternehmen sich Maßnahmen bedienen, die den operativen Cashflow optisch erhöhen, sollte den aufmerksamen Bilanzleser alarmieren. Es kann nicht mit hinreichender Sicherheit angenommen werden, dass sich alle Adressaten der Finanzberichterstattung über derartige Steuerungsmechanismen im Klaren sind und eigenständig dafür korrigieren (vgl. VAN DER HEIJDEN [2015]). Die Vielzahl von Freiräumen und deren systematische Ausnutzung machen deutlich, dass die Kapitalflussrechnung, obgleich sie ein zentrales Element der Finanzberichterstattung darstellt, nicht per se als zuverlässiger Lieferant von Entscheidungsgrundlagen gesehen werden kann. Vielmehr sollten nicht nur Gewinngrößen, sondern auch Cashflow-Daten mit Vorsicht genossen und einem zweiten kritischen Blick unterzogen werden. Mit Spannung bleibt abzuwarten, wie lange es dem ,König Cashflow‘ noch gelingen wird, seine Untertanen im Glauben der Zuverlässigkeit und Vergleichbarkeit wiegend um sich zu scharen.

KEY TAKE AWAY

  • Die Nutzung der Wahlrechte des IAS 7 geschehen keineswegs zufällig: Gerade wenig profitable und unterdurchschnittlich solvente Unternehmen nutzen die Wahlrechte, um den operativen Cashflow zu verbessern.
  • Gezahlte Zinsen werden von 30 % der untersuchten kapitalmarktorientierten Unternehmen in Deutschland aus dem operativen Cashflow in den Cashflow aus Finanzierungstätigkeit verlagert.
  • Erhaltene Zinsen werden hingegen von 70 % der untersuchten kapitalmarktorientierten Unternehmen in Deutschland im operativen Cashflow ausgewiesen.

 


SCHRIFTTUM

ADS INTERNATIONAL (2002): Kap. 23 „Cash Flow-Rechnung“, Abschn. 23, Rn. 7.

IMAN, S./BARKER, R./CLUBB, C. (2008): The Use of Valuation Models by UK Investment Analysts, in: European Accounting Review 17(3), S. 503-535.

EPSTEIN, M. J./PAVA, M. (1992): How Useful is the Statement of Cash Flows?, in: Management Accounting, July 1992, S. 54.

KRETZMANN, C. W./TEUTEBERG, T./ZÜLCH, H. (2015): Comparability of Reported Cash Flows under IFRS – Evidence from Germany, in: Corporate Ownership & Control 12(4), S. 906-927.

KVAAL, E./NOBES, C. W. (2010): International Differences in IFRS Policy Choices, in: Accounting and Business Research 40(2) 2010, S. 173-187.

MONNET, C./QUINTIN, E. (2007): Why do financial systems differ? ECB Working Paper No. 442 (2005), abrufbar unter SSRN: http://ssrn.com/abstract=657861, S. 1002-1017.

NURNBERG, H. (2006): The Distorting Effects of Acquisitions and Dispositions on Net Operating Cash Flow, in: Accounting Forum (30) 2006, S. 209-226.

VAN DER HEIJDEN, H. (2015): User Evaluations of Financial Statements: The Effects of Presentation Choices under IFRS and US-GAAP, Working Paper of the 38th European Accounting Association Annual Congress 2015.

 

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